Hüftgelenksdysplasie (HD)

Dieser Artikel ist im Original in der Hunde-Zeitschrift
„Das Deutsche Hunde Magazin 8/98“ erschienen.
Wir bedanken uns beim „Deutschen Hunde Magazin“ und der Autorin Dr. Anna Laukner für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

Die Hüftgelenksdysplasie (HD)

Die Hüftgelenksdysplasie (HD) des Hundes stellt mit die häufigste Krankheit des Bewegungsapparates dar, die mittelgroße bis große Hunde -Rassehunde wie Mischlinge- befällt. Seit wenigen Jahrzehnten beschäftigen sich Tierärzte, Wissenschafter und Zuchtorganisationen eingehend mit dieser Erkrankung. Heute weiß man relativ genau um die Krankheitsentstehung; auch die Krankheitsursachen sind weitestgehend bekannt. Auch wenn teilweise verschiedene Auffassungen über die auslösenden Faktoren bzw. deren Gewichtung bestehen, ist man sich heutzutage doch einig, dass die HD größtenteils erblich bedingt ist, und aufgrund ihres polygenen Erbganges und ihrer multifaktionell bedingten Ausprägung von einigen, nicht genetischen Faktoren beeinflusst wird.

 

Das Hüftgelenk

Das Hüftgelenk des Hundes wird von Anteilen des Beckens (Sitzbein, Hüftbein und Schambein) sowie dem Oberschenkelkopf gebildet. Die Beckenknochen bilden die Hüftgelenkspfanne, in welche der Oberschenkelkopf tief eingebettet liegt. Die Gelenkflächen der beteiligten Knochen sind von Knorpel überzogen.

Das Hüftgelenk funktioniert als Kugelgelenk und ist dadurch in nahezu jede Richtung mehr oder weniger frei beweglich. Es wird zusätzlich durch den Muskeltonus, die Gelenkkapsel und die Adhäsionskräfte der enthaltenen Gelenkschmiere stabilisiert. Ein Band verbindet außerdem den Oberschenkelkopf mit der Tiefe der Hüftgelenkspfanne. Dies sind die Zustände, wie sie beim gesunden Hund vorliegen, und wie sie unabdingbar für einen reibungslosen Bewegungsablauf über viele Jahre eines Hundelebens hinweg sind.

 

Pathogenese (Krankheitsentstehung)

Bestehen nun genetisch bedingte Abweichungen in Form oder Zusammenspiel der genannten Strukturen, so bezeichnet man solche Hüftgelenke als dysplastisch. Solch eine Fehlbildung bzw. Fehlentwicklung eines oder beider Hüftgelenke kann die unterschiedlichsten Schweregrade aufweisen. Auch die Ausprägungsform einer HD ist manngfaltig. So kann die Hüftgelenkspfanne zu flach sein und/oder der Oberschenkelkopf zu klein. Jede Abweichung in der Übereinstimmung von Pfanne und Kopf wird als Inkongruenz bezeichnet.

Manche Autoren machen Muskelanomalien (vorrangig einen verkürzten Muskulus pectineus) verantwortlich. Hierdurch werde der an diesen Muskel angeheftete Oberschenkelkopf permanent gegen die Pfannenwand aufgezogen, was wiederum zu den bekannten Folgeerscheinungen führen soll.

Eine weitere Ursache für HD ist ein zu lockerer Gelenkschluß, d.h. der Kopf sitzt nicht fest und straff genug in der Pfanne. Gründe hierfür sind z.B. zu schlaffe Bänder oder Gelenkkapseln.

Beides, sowohl die Inkongruenz als auch ein zu lockerer Gelenkschluß, kann im Laufe der Zeit zu sekundären degenerativen Veränderungen führen. Diese stellen sich durch die dauerhaften Fehlbelastungen der Gelenkflächen früher oder später als Schwund des Gelenkknorpels sowie als Exostosen und Arthrosen ein. Als extreme Folge hiervon wiederum kann sogar eine Luxation des Hüftgelenkes auftreten. Die knöcheren Veränderungen, die man oftmals bei einer fortgeschrittenen HD auf dem Röntgenbild feststellt, sind also nicht Symptome der eigentlichen Erkrankung, sondern Folgeerscheinungen. Man bezeichnet dies als Coxarthrose.

 

Ätiologie (Krankheitsursachen)

Die HD ist ein genetisch bedingtes Leiden. Anders als bei bestimmten Körpermerkmalen und auch bestimmten Erbkrankheiten (u.a. Stoffwechselerkrankungen) ist nicht ein einzelnes Gen verantwortlich. Vielmehr wird die Anlage zur Ausbildung einer HD von verschiedenen Genen beeinflußt, man nennt diese Art der Vererbung auch polygenetisch (poly=viel). Dies ist auch mit ein Grund dafür, dass es bei der HD kein „Alles-oder-Nichts-Prinzip“, sondern alle nur denkbaren Abstufungen an Schweregraden gibt.

Auch die Beteiligung verschiedener Umweltfaktoren spielt hierbei eine Rolle. Besonders erwähnenswert sind Fütterung und Bewegung. Gerade in letzter Zeit konnte man vereinzelt die Meinung hören, dass die HD eine ausschließlich umweltbedingte Erkrankung sei. Dass dem nicht so ist, gilt allerdings schon seit einiger Zeit als gesichert. Fraglich ist nur, welchen Anteil die Gene, und welchen die Aufzucht- und Umweltbedingungen spielen.

 

Das Vorkommen der HD ist bei den einzelnen Hunderassen unterschiedlich, mitunter hat sogar dieselbe Rasse in verschiedenen Ländern eine unterschiedliche Frequenz. Betroffen sind vorrangig mittelgroße bis große Rassen.

 

Wir wir nun also wissen, erbt der Hund eine bestimmte Veranlagung zur Ausbildung einer HD. Diese Veranlagung besitzt er bereits bei der Geburt. Zu diesem Zeitpunkt ist eine Diagnose allerdings noch nicht möglich, da sich die Merkmale der Dysplasie erst im Laufe der Skelettentwicklung bilden. Teilweise sind diese Merkmale bereits im Alter von einigen Wochen bis Monaten feststellbar, eine eindeutige und endgültige Diagnose kann allerdings erst nach Abschluss des Wachstums, also ab einem Alter von 12 bis 18 Monaten gestellt werden. Ab der Geburt wirken auch die oben erwähnten Umweltfaktoren auf den Hund ein. Die meiste Bedeutung haben hierbei die Art der Fütterung sowie Art und Ausmaß der Bewegung. Als nachteilig haben sich zu energiereiche sowie zu eiweißreiche Fütterung vor allem großrassiger Hunde erwiesen. Auch übermäßige körperliche Arbeit, z.B. zu frühes und zu ausgedehntes Training, vor allem an der Steilwand, wirkt sich negativ auf die Entwicklung der Hüftgelenke aus. Eine straffe Kruppen- und Oberschenkelmuskulatur durch moderate, gleichmäßige Bewegung hingegen ist günstig für die Stabilisierung der Hüften. Optimale Aufzuchtbedingungen die für gewissenhafte Züchter und Halter sowieso eine Selbstverständlichkeit sein sollten, sind für die Aufzucht HD-gefährdeter Rassen und Hunde ein absolutes Muss.

 

Die klinischen Symptome der HD reichen von einer verminderten Aktivität, besonders auffällig wird dies natürlich bei Junghunden, über Schmerzen beim Aufstehen bis zu passiver Bewegung des Hüftgelenkes. Der Tierarzt kann durch eine bestimmte Manipulation ein Schnapp-Geräusch des Gelenkes provozieren, das ebenfalls typisch für eine HD ist. Eine sichere Diagnose allerdings kann erst durch Röntgenaufnahmen gestellt werden.

 

Diagnose

Nach wie vor wichtigstes diagnostisches Mittel ist die Röntgenaufnahme. Bei manchen Rassen zur Zuchtzulassung Pflicht, sollte generell jeder Hund ab mittlerer Größe (auch Mischlinge) in einem bestimmten Alter (frühestens mit 12 Monaten) HD-geröntgt werden, um Inkongruenzen oder deformierte Gelenksanteile feststellen zu können.

 

Für eine korrekte HD-Aufnahme wird der Hund sediert. Dies ist notwendig, um eine vollständige Entspannung der Muskulatur zu erreichen. Der Hund wird auf dem Rücken gelagert, eine Person zieht ihn an den Vorder- läufen nach vorne, eine andere streckt die Hinterläufe und dreht sie gleichzeitig nach innen. Die Aufnahme muß absolut symmetrisch sein, außer den Hüftgelenken sowie den Darmbeinflügeln müssen auch die Kniegelenke und Kniescheiben vollständig im Bild sein.

 

Um die Aufnahme dann auswerten zu können, muss der Tierarzt, zumindest bei den leichteren Graden, über einige Erfahrung verfügen, wobei die Anzeichen einer schweren HD auch für Laien oft schon zu erkennen ist. Die sogenannten „offiziellen“ Aufnahmen müssen zur Auswertung an eine zentrale Auswertungsstelle geschickt werden, die je nach Rassezuchtverein unterschiedlich ist.

Bereits 1965 führten die ersten Vereine ein Zuchtverbot für Hunde mit mittlerer und schwerer HD ein; seitdem hat sich nicht an der Bedeutung der Röntgenaufnahme sowohl aus diagnostischen Gründen auf veterinärmedizinischer, als auch aus prophylaktischen Gründen auf züchterischer Ebene geändert. Bis vor kurzer Zeit durften nur von den entsprechenden Rassezuchtvereinen dazu ermächtigte Tierärzte offizielle Aufnahmen machen, heute ist die Situation so, dass jeder Tierarzt offiziell HD-röntgen darf, natürlich aber auch für die korrekte Lagerung und die Qualität der Aufnahme verantwortlich ist. Unter Umständen kann es vorkommen, dass Bilder von der zentralen Auswertungs- stelle als nicht auswertbar zurückgehen und erneute Aufnahmen angefertigt werden müssen. Auch die „inoffiziellen“ Aufnahmen, wie z.B. beim Vorröntgen, sollten genauso gewissenhaft wie die offiziellen Aufnahmen gemacht werden, um eine verlässliche Aussage treffen zu können.

Dieses Vorröntgen im Alter von sieben bis neun Monaten ist dann sinnvoll, wenn ein Gebrauchshundebesitzer wissen möchte, ob der Beginn einer intensiven Ausbildung des Hundes aus tierärztlicher Sicht vertretbar ist, oder ob bereits entsprechende Veränderungen der Hüftgelenke vorliegen. Natürlich kann eine Aussage in diesem Alter nur unter Vorbehalt erfolgen, konkrete Angaben zum Zustand der Hüftgelenke hinsichtlich einer HD können erst nach Abschluss des Epiphysenwachstums gemacht werden, aus diesem Grund fällt auch der Zeitpunkt der offiziellen Röntgenaufnahme nie vor Beendigung des zwölften Lebensmonats.

Die Diagnose der HD aufgrund von Rötngenaufnahmen erfordert vom Tierarzt, wie bereits erwähnt, ein gewisses Maß an Erfahrung. Zur Beurteilung des Schweregrades gibt es bestimmte Kriterien, die dem Auswerter ebenfalls geläufig sein müssen. So müssen die Lagerung, die Pfannenform, die Form des Oberschenkelkopfes, der Sitz des Kopfes in der Pfanne, der Oberschenkelhals und der Gelenkspalt beurteilt werden.

Zusätzlich wird noch die Messung des sogenannten NORBERG-Winkels durchgeführt. Diese Messung, die mit einer speziellen Schablone direkt am Röntgenbild erfolgt, erlaubt eine objektive Zusatzbeurteilung des Hüftzustandes. Erwünscht ist ein Wert von 105° oder darüber; geringere Werte deuten auf flache Pfannen oder auch lose Hüften hin.

 

Natürlich gibt es rassebedingte anatomische Unterschiede des Hüftgelenkes, die dem Beurteiler bekannt sein sollten. Chondrodysplastische Rassen wie Basset, Dackel und teilweise Cocker Spaniel sind anders zu beurteilen als Rassen mit normalen Knochen- und Knorpelwachstum wie Deutscher Schäferhund, Dobermann, Hovawart etc.. Große Rassen, wie Bernhardiner oder Doggen sollten zudem noch später als kleinere Rassen geröntgt werden, da bei ihnen das Knochenwachstum entsprechend später abgeschlossen ist. Als Richtwert gilt hier ein Alter von 18 Monaten.

 

Je nach Ausmaß der röntgenologisch erkennbaren Veränderungen wird eine Einteilung in verschiedene Schweregrade vorgenommen. Diese sind Normal (A) für in jeder Hinsicht unauffällige Gelenke mit einem NORBERG-Winkel von 105° oder mehr, Fast normal, Übergang oder HD-Verdacht (B) bei geringen Veränderungen in Kopf oder Pfanne und einem NORBERG-Winkel von mindestens 100°. Etwas deutlichere Abweichungen finden sich bei leicht (C), außerdem Inkongruenz und evtl. ein divergierender Gelenkspalt. Der NORBERG-Winkel liegt um die 100°. Bei mittlerer HD (D) bestehen schon gravierendere Veränderungen mit arthrotischen Zubildungen. Der NORBERG-Winkel liegt zwischen 90° und 100°. Bei schwerer HD (E) schließlich ist das gesamte Gelenk stark verändert. Es kann eine vollständige Luxierung vorliegen, auf den ersten Blick erkennt man die arthrotischen Veränderungen und der NORBERG-Winkel liegt unter 90°.

 

Die Röntgenaufnahme ist also das wichtigste Mittel zur Diagnose einer vorliegenden HD. Da jedoch nicht jeder Hund routinemäßig geröntgt wird, sei hier auch auf mögliche klinische Symptome hingewiesen, die bei einer bestehenden HD auftreten können. Wohlgemerkt können, denn selbst bei einer laut Röntgenbild mittleren bis schweren HD kann es vorkommen, dass der Hund sich ohne größere Probleme bewegt und außerdem schmerzfrei ist. Nicht zuletzt dies sollte mit ein Grund sein, seinen Hund doch in jedem Fall HD-röntgen zu lassen, auch wenn es sich nicht um einen Rassehund oder gar ein für die Zucht vorgesehenes Tier handelt. In den meisten Fällen einer manifesten HD finden sich zwar Symptome, die dem Hundehalter auffallen und ihn eben auch veranlassen, den Tierarzt aufzusuchen. Hierzu gehören in erster Linie Lahmheitserscheinungen der Hinterhand, Schmerzen sowohl bei aktiver als auch bei passiver Bewegung sowie Schwierigkeiten beim Aufstehen.

Sehr oft, vor allem bei prädisponierten Rassen wie dem Deutschen Schäferhund, Rottweiler etc. wird jede Bewegungsstörung bzw. Schmerzhaftigkeit im Beckenbereich vom Besitzer bereits als HD gedeutet. Um allerdings andere Erkrankungen, die durchaus auch bei diesen Rassen auftreten können, abzugrenzen, ist eine tierärztliche Untersuchung einschließlich einer Röntgenaufnahme unerlässlich.